Im Dezember hat sich ein lang gehegter Traum erfüllt: ein Besuch in Füssen und die Besichtigung der Schlösser Hohenschwangau, Linderhof und Neuschwanstein. Und ich kann sagen, dass ich nie etwas Schöneres gesehen habe. Hier findet ihr ein paar Eindrücke über meine Reise ins Märchenreich und den Auftrakt zu meiner Serie „Orte von früher.“
Wer meine „Über Mich“-Seite besucht hat, kennt diese Anekdote bereits, aber ich muss sie hier einfach noch mal erzählen, denn sie ist einfach der perfekte Einstieg in einen Artikel über den bayerischen König Ludwig II. und seine Mädchenschlösser.
Meine erste Begegnung mit Ludwig II
Es ist mittlerweile gut 20 Jahre her, dass ich das erste Mal „persönlichen“ Kontakt zu König Ludwig hatte. Natürlich nicht wirklich persönlich, denn Ludwig ist bereits seit 1886 tot. Aber durch seine exzentrische Persönlichkeit, seinen mysteriösen Tod und sein Vermächtnis – seine Märchenschlösser Herrenchiemsee, Schloss Linderhof und Schloss Neuschwanstein – lebt sein Mythos bis heute. Mich zog er schon in seinen Bann, bevor ich einen Schritt in eine dieser Bauten setzte.
Als Teenager habe ich angefangen, Biografien historischer Persönlichkeiten zu verschlingen wie ein ausgehungerte Wolf seine Beute, so gierig war ich danach zu erfahren, wie Menschen früher gelebt haben in einer Welt, die schon den meisten ihrer Zeitgenossen völlig fremd gewesen war. Wie war es, in wallenden Röcken durch die langen Gänge eines Schlosses zu schreiten, wie fühlte es sich an, ein Kette aus funkelnden Diamanten um den Hals und eine goldene Krone auf dem Kopf zu tragen? Wie dachten Frauen, die nur dazu bestimmt waren, ihrem Mann einen Erben zu gebären? Und wie feierten sich rauschende Bälle? Ich wollte all das wissen, träumte mich hinein in vergangene Zeiten und wollte großen Persönlichkeiten der Geschichte dadurch so nahe kommen, wie es uns heute noch möglich ist.
Am meisten fasziniert mich bis heute Elisabeth von Österreich. Und da sie eine Zeitgenossin, Cousine und selbsternannte Seelenverwandte von Ludwig II. war, war der Schritt von der schwarzen Möwe zum stolzen Adler, als die sich Elisabeth und Ludwig in ihren Briefen und Gedichten selbst und gegenseitig bezeichneten, nicht weit.
Versailler Glanz auf Schloss Herrenchiemsee
Ich hatte mich also schon ein wenig mit der Person Ludwigs auseinandergesetzt, als ich im damaligen Sommerurlaub an einem heißen Tag das am bayerischen Chiemsee gelegene Schloss Herrenchiemsee besichtigte. Und da ich schon immer eine Schwäche für Märchen, Schlösser und barocken Pomp hatte, war ich sofort überwältigt von der Pracht, die das nach Versailler Vorbild erbaute Schloss ausstrahlte so golden wie die Sonne selbst.
Es war im eindrucksvollen Schlafgemach des Königs, als jemand aus der Gruppe sagte: „Hier könnte ich nicht leben.“ Und ich, gerade einmal 13 Jahre alt, stand da und dachte sofort: „Ich schon. Ich könnte hier leben.“
Zugegeben: Das war jetzt ein ziemlich langer Texteinstieg, aber die Eindrücke, die ich damals hatte, haben sich bei meiner Reise nach Füssen im Dezember 2019 und dem Besuch der Schlösser Hohenschwangau, Linderhof und Neuschwanstein bestätigt. Und auch hier gab es ein ähnliches Erlebnis.
Eine Huldigung der Schönheit
Bei der Besichtigung von Schloss Linderhof sagte eine Teilnehmerin angesichts der barocken Pracht, alles wirke so oberflächlich und unpersönlich. Interessanterweise habe ich das genau andersherum empfunden. Denn unabhängig davon, ob man den überladenen Pomp des Neorokoko mag oder nicht: All die vielen Details, jeder Schnörkel und jeder Zierrat, der sich an den Deckengemälden und Leisten, an den Wänden und Kronleuchtern, an den Möbeln und anderen Wohn- und Dekorelementen findet, bezeugen die kompromisslose Hingabe, mit der Ludwig der Schönheit huldigte.
Jede Kleinigkeit ist durchdacht und mit Liebe ausgesucht, passt in ein ästhetisches Konzept und entspricht den Vorlieben und Neigungen des Königs. Jedes seines Schlösser war Teil seiner Selbstverwirklichung, Teil einer Traumwelt, die er sich schuf, um der Realität zu entkommen. Bei all seiner Weltentrücktheit und melancholischen Romantik war Ludwig dabei in vielen Dingen sehr fortschrittlich und ließ seine Schlösser nach dem aktuellsten Stand der Wissenschaft erbauen. Aus seinem Interesse für Technik entwickelte er Visionen, um seine Traumwelten lebendig werden zu lassen. Aus diesem Grund fand ich die Räumlichkeiten von Schloss Linderhof (und auch die seiner anderen Schlösser) keineswegs oberflächlich, sondern sehr persönlich und denke, dass Ludwigs Schlösser mehr als die Burgen und Paläste anderer Herrscher einen Blick auf seine Seele freigeben. Und sie zeigen, wie viel Schönes der Mensch erschaffen kann, wenn er träumen und seiner Fantasie folgen darf.
Auch wenn der Bau seiner Schlösser Unsummen gekostet und ihn hoch verschuldet hat: Es ist sehr traurig, dass Neuschwanstein und Herrenchiemsee unvollendet geblieben sind und dass er niemals die Chance hatte, auch seine anderen Pläne – Schloss Falkenstein, den asiatischen Sommerpalast und sein byzantinisches Schloss – zu verwirklichen. Die Welt wäre um einige Träume reicher.
Ludwig II. von Bayern
Ludwig II. wurde am am 25. August 1845 geboren und war bis zu seinem bis heute rätselhaften Tod am 13. Juni 1886 König von Bayern. Er entstammte dem Hause Wittelsbach und war der Sohn des Kronprinzen Maximilian und der Kronprinzessin Marie. Sein vollständiger Name war Otto Friedrich Wilhelm Ludwig, doch da sein Großvater Ludwig ebenfalls am 25. August (1786) geboren worden war, setzte sich der Rufname Ludwig durch. In ihm steckt bereits eine Verbindung zu Frankreich (Ludwig entwickelte ja eine starke Frankophilie, die sich vor allem in seinen Schlössern widerspiegelte): Der Taufpate seines Großvaters Ludwig I. war Ludwig XVI. von Frankreich gewesen, jener König, der während der Französischen Revolution unter der Guillotine hingerichtet wurde.
Kindheit und Politk
Seine Kindheit verbrachten Ludwig und sein drei Jahre jüngerer Bruder Otto hauptsächlich auf Hohenschwangau. Ludwig kam also schon früh mit der mittelalterlichen Sagenwelt in Berührung. Als sein Vater 1864 starb, bestieg Ludwig mit nur achtzehn Jahren als Ludwig II. den Thron. Seine Amtsgeschäfte übte Ludwig trotz gegenteiliger Behauptungen bis zum Schluss sehr gewissenhaft aus. So erwirkte er in Bayern beispielsweise die rechtliche Gleichstellung der Juden.
Insgesamt war sein Wirken als Oberhaupt einer konstitutionellen Monarchie jedoch eingeschränkt. Seine Hauptaufgabe war es, die politischen Kräfte im Land zu neutralisieren. Dies zwang Ludwig dazu, jedes Gesetz gegenzuzeichnen. Da er selbst kein politisches Durchsetzungsvermögen und keine Frustrationstoleranz besaß, führte das dazu, dass er sich immer mehr aus einer Funktion zurückzog, die er nicht so ausfüllen konnte, wie es seinem Selbstverständnis entsprach – Ludwig verstand sich als absolutistischer Herrscher, so wie es der Sonnenkönig von Frankreich gewesen war. Dieses Selbstverständnis verwirklichte er in der Ausgestaltung seiner Schlösser, etwa im eindrucksoll prächtigen Thronsaal von Neuschwanstein. Gleichzeitg kollidierte dieses Selbstbild mit der Realität, in der Monarchen mehr und mehr zu Repräsentanten wurden.
Möwe und Adler
Ein besonderes Verhältnis hatte Ludwig zu seiner Cousine Elisabeth. Die Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn. Die acht Jahre ältere Sisi war unglücklich mit Kaiser Franz Joseph verheiratet und noch unglücklicher mit ihren Pflichten am kaiserlichen Hof. Wie Ludwig war sie gezwungen, eine Rolle auszufüllen, die sie verabscheute und für die sie ihrem Wesen nach nicht geschaffen war. Entsprechend entwickelte sich eine tiefe Seelenverewandtschaft zwischen den beiden.
Die Verlobung mit Elisabeths jüngster Schwester Sophie ließ er platzen, er blieb zeitlebens unverheiratet. Als belegt gilt inzwischen, dass Ludwig homosexuell gewesen ist. Als tiefreligiösen Menschen hat ihm das große Qualen bereitet.
Ein Förderer der Kultur
Während seiner Regierungszeit tat Ludwig sich vor allem als Förderer der Kultur hervor. So finanzierte er zahlreiche Opern des verschuldeten Richard Wagners und schuf sich in seinen Märchenschlössern seine eigene von Wagner inspirierte Traumwelt. So läuft zusammen, was wohl als Ludwigs größte Vermächtnisses angesehen werden kann: Wagners Opern und der Bau seiner Märchenschlösser.
Ludwigs Märchenschlösser
Das mittelalterliche Schloss Hohenschwangau liegt direkt gegenüber von Schloss Neuschwanstein und wurde von König Maximilian II. im Jahr 1837 im neugotischen Stil umgebaut. Hier wuchsen seine Söhne Ludwig und Otto auf. Von hier aus konnte Ludwig später durch ein Fernrohr auch den Baufortschritt des höher gelegenen Schlosses Neuschwanstein beobachten.
Schloss Linderhof ist eigentlich eine Villa im bayerischen Ettal. Ludwig hat sie von 1870 bis 1886 im Stil des Neorokoko bauen lassen. Es ist das kleinste seiner Schlösser und als sein Lieblingsschloss der Ort, an dem er sich am meisten aufhielt. Wer einmal durch den malerischen Wald wandert, versteht, warum.
Neben seiner idyllischen Lage ist das Schloss sehr abgeschieden. Ludwig konnte sich hier vollkommen in seine Traumwelt zurückziehen. So ließ er sich im Schlosspark die Hundinghütte errichten, nach einer Beschreibung des Szenenbildes von Richard Wagners erstem Akt der Walküre. Die Dienstboten trugen entsprechende Kostüme. Auch in der Venusgrotte, die momentan leider wegen umfangreicher Restaurierungsarbeiten geschlossen ist, huldigte Ludwig seiner Liebe zu den Opern Wagners.
Wie Herrenchiemsee so widmete Ludwig auch Schloss Linderhof seinem Idol, dem französischen Sonnenkönig Louis XIV. Ursprünglich sollte es komplett nach Versailler Vorbild erbaut werden. Da das Tal jedoch zu eng für einen derartigen Palast war, wich Ludiwg auf Herrenchiemsee aus.
Schloss Neuschwanstein
Mit dem Bau des Schlosses Neuschwanstein verwirklichte Ludwig seine nach dem Besuch der Wartburg im Jahr 1867 entstandende Idee, selbst ein romantisches Schloss zu errichten. Dabei legte er großen Wert auf die Harmonie zwischen Bauwerk und Landschaft. Entsprechend fügt sich Neuschwanstein so perfekt in die Bergkulisse ein, als sei diese extra für das Schloss entworfen worden.
Am 5. September 1869 wurde der Grundstein für die Burg gelegt, die damals noch „Neue Burg zu Hohenschwangau“ hieß und ihren heutigen namen Neuschwanstein erst später bekam. Rund 200 Personen waren durchschnittlich auf der Baustelle beschäftigt und neben den Arbeitsplätzen, die Ludwig damit schuf, war der Bau des Schlosses auch wegen der Unmengen an benötigter Materialien ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für ganz Bayern. Übrigens: Die Behauptung, Ludwig habe den bayerischen Staat mit seinen Bauvorhaben in den Bankrott gestürzt, sind genau so wenig wahr, wie Marie Antoinettes berühmter Ausspruch „Dann sollen sie Kuchen essen.“ Ludwig deckte alle Kosten aus seiner Privatschatulle, seinen Apanagen und dem Vermögen der Königsfamilie.
Neuschwanstein ist der Inbegriff der Romantik. Hier findet sich, was für die Epoche so typisch ist: die Verklärung des Mittelalters, die Weltflucht, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums und der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten. So hat Ludwig sich zwischen Wohn- und Ankleidezimmer eine künstliche Tropfsteinhöhle anfertigen lassen, die effektvoll beleuchtet wird und in der es neben einer Warmluftheizung früher auch mal einen Wasserfall gab. Sie stellt die Hörselberggrotte aus der Tannhäusersage dar.
Ebenso eindrucksvoll ist etwa das Schlafzimmer im neugotischen Stil mit seinen kunstvollen Eichenholzschnitzereien, der Sängersaal mit der Parzivalsage als Wandgemälde oder der sakrale, nach byzantinischem Vorbild errichtete Thronsaal. Auch wenn der prächtige Thron, den Ludwig für diesen Saal plante, nicht mehr fertiggestellt wurde, verdeutlicht der Raum, was für ein Selbstverständnis Ludwig von sich als König hatte.
Unvollendetes Vermächtnis
Leider ist Schloss Neuschwanstein unvollendet geblieben. Der König selbst hat gerade mal ein halbes Jahr in seinem Märchenschloss verbracht, ehe er entmachtet wurde. Es war in seinem Schlafzimmer, in dem ihm am 12. Juni 1886 mitgeteilt wurde, dass er auf Grund eines ärtzlichen Gutachtens für geisteskrank erklärt und entmündigt worden sei. Bereits einen Tag später kam er in Schloss Berg am Starnberger See unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben. Auch das verleiht seinen Märchenschlässern einen mysteriösen Zauber.