Musicalrückblick 2019
Musical

Mein Musicaljahr 2019

27. Dezember 2019

Neuproduktionen, das Ende eines Musicalstandorts und tolle Tourneeproduktionen: Das Musicaljahr 2019 war ein spannendes. Hier kommt mein persönlicher Musicalrückblick.

Im vergangenen Jahr habe ich in meinem Beitrag „Musicals 2019: Wunsch und Wirklichkeit“ einen kleinen Ausblick auf das Jahr gewagt und mir vor allem die kommenden Großproduktionen angesehen. Mit Amélie, Pretty Woman oder The Band waren einige Neuproduktionen dabei, die sich allerdings auf Compilation Show und Filmadaption beschränkten. Heute, ein Jahr später, habe ich keine dieser Shows gesehen, da ich weder ein Musical mit den Songs von Take That noch eines mit denen von Tina Turner brauche. Unabhängig von meiner persönlichen Meinung haben diese Stücke das doch sehr eingeschlafene Repertoire von Stage Entertainment aber auf jeden Fall aufgefrischt.

Hexenfreundschaft und Schwesternliebe: Das kommt 2020

Für 2020 sind vor allem zwei Produktionen spannend: Die Hexen aus Wicked kommen nach über zehn Jahren zurück und präsentieren sich in Hamburg mit neuen Kostümen und Effekten. Die Vorgeschichte von „Der Zauberer von Oz“ erzählt von der Freundschaft zweier grundverschiedener Hexen, die lernen, Vorurteile abzulegen und erkennen, was Freundinnen gemeinsam erreichen können.

Auf Frauenpower setzt auch die zweite Neuproduktion von Stage Entertainment: Nicht überraschend holt der Entertainment-Konzern den Broadway-Hit Frozen nach Deutschland. Die Geschichte um die Eiskönigin Elsa dürfte noch begeisterter aufgenommen werden als die Rückkehr von Wicked, nicht zuletzt wegen des Kinoerfolgs der Filme sowie der großen Fanbase des Disneystücks.

Mein Musicalrückblick

Obwohl ich mir von 2019 als Musicaljahr wegen der für mich eher uninteressanten Großproduktion nicht allzuviel versprochen habe, wurde es ein Jahr voll unvergesslicher Musicalerlebnisse. Drehen wir die Uhr also noch einmal zurück und schwelgen ein wenig in Erinnerungen…

The heat is on in Saigon

Das Jahr begann mit einem Meisterwerk: Miss Saigon war ein Vierteljahrhundert nach seiner deutschen Erstaufführung in Stuttgart endlich wieder auf einer deutschen Bühne zu sehen. Die Geschichte der mittellosen Kim, die sich während der Wirren des Vietnamkreigs in den Soldaten Chris verliebt, gastierte als englische Tourneeproduktion im Musical Dome Köln und zeigte, was Musical so faszinierend macht: mitreißende Musik, berührende Melodien, Gänsehautmomente, fantastische Darsteller, große Stimmen, ein detailverliebtes Bühnenbild, komplexe Figuren, eine stimmige Handlung mit Tragik, Tiefgang sowie Technik zum Staunen. Für mich war der Besuch in Köln nicht nur ein Musicalhighlight des Jahres 2019. Die Toruneeproduktion von Miss Saigon ist eine der besten Produktionen, die ich je gesehen habe.

Eine Reise in die Welt der Fantasie

Im April habe ich ein mir bis dahin unbekanntes Stück kennengelernt und mich vom Musical Big Fish in eine farbenreiche Fantasiewelt entführen lassen. Das Musiktheater Gelsenkirchen (MIR) brachte Hexen, Riesen und Nixen auf die Bühne und erzählte eine konfliktvolle Vater-Sohn-Geschichte, die ein gängiges Thema visuell und dramaturgisch neu erfunden und umgesetzt hat. Gleichzeitig bewies das MIR mit Big Fish, dass es sich lohnt, bei der Stückauswahl mutig zu sein und nicht immer wieder auf die bewährten Klassiker zurückzugreifen.

And all that Jazz

Chicago im Musical Dome Köln
Der Besuch im Musical Dome war einer der Höhepunkte meines Musicaljahres. | Foto: privat

Ebenfalls als englischsprachige Toruneeproduktion war das Musical Chicago in Köln zu sehen. Mit viel Spielwitz, Timing und Humor sowie den tollen Tanzeinlagen von Bob Fosse und jeder Menge 20er-Jahre-Vibes macht das Musical einfach Spaß ­ und regt mit seinen satirischen Tönen durchaus auch zum Nachdenken an. Erstmals habe ich das Stück 2012 in London gesehen und war begeistert. Dieses Jahr habe ich noch viel mehr über den schwarzen Humor gelacht.

Auf die Gleise

Nachdem mich die Änderungen der neuen Fassung des Bochumer Long runs Starlight Express 2018 bis auf einige wenige Ausnahmen widererwartend sehr begeistert haben, fieberte ich in diesem Jahr erneut bei der Weltmeisterschaft der Lokomotiven mit. Auch wenn ich mich mit einigen Änderungen nach wie vor schwer tue (etwa den neuen Looks von Electra, Caboose und Pearl oder den für mich sinnlosen Ersatz von Buffy und Ashley durch Belle und Carrie), begeisterte mich das Stück auch 2019 wieder. Und so werde ich mit Sicherheit auch im nächsten Jahr wieder dabei sein, wenn es heißt „Auf die Gleise…“.

Dies ist die Stunde

Auf meinem Musicalwunschzettel vom letzten Jahr stand ein Stück, das ich jedes Jahr auf meine Wunschliste schreiben würde: Jekyll&Hyde. Das Musical von Frank Wildhorn gehört zu meinen absoluten Lieblingsstücken und als ich hörte, dass es im Stadttheater Dortmund zu sehen sein wird, habe ich sofort Karten gebucht.

Ich habe das Stück bereits in unterschiedlichen Inszenierungen gesehen: mehrfach als Großproduktion in Köln sowie in kleineren Produktionen in Bielefeld und am English Theatre in Frankfurt. Bisher haben mich alle begeistert. Die Story und die Musik, bei der ja von Kritikern gerne mal bemängelt wird, dass sie keine Ohrwürmer à la Webber zu bieten habe, sind mitreißend, die Rollen verlangen den Darstellern gesanglich wie schauspielerisch viel ab und der Gothic-Horror-Touch der Handlung hebt das Stück von den zahlreichen seichten Comedy-Unterhaltungsmusicals ab, die seit Jahren die Bühnen überschwemmen und das Genre Musical in eine Ecke drängen, in die es nicht reingehört. Musical kann auch anspruchsvoll, kann düster, böse und blutig sein. Meiner Meinung nach ist es gerade dann besonders gut. Besonders gut war auch Jekyll&Hyde in Dortmund. Tolle Darsteller und viele gute Ideen in der Inszenierung machen dieses Grusical zu meinem Lieblingsstück 2019.

Beim Ball des Jahres tanzen wir durch die Nacht…

Die dunkle Seite des Musicals zeigte auch die Halloween Musical Night am 31. Oktober im Colosseum Theater Essen. Das von Sound-of-Music-Inhaber Andres Luketa ins Leben gerufen Konzert bot in vier Akten sechs Stunden lang beste Musicalunterhaltung. Da ich selbst die tragischen und düsteren Stoffe bevorzuge, waren mit Songs aus Jekyll&Hyde, Das Phantom der Oper, Liebe stirbt nie, Tanz der Vampire, Dracula und Elisabeth fast alle meine Lieblingsstücke vertreten. Und die Namen der Künstlerinnen und Künstler, unter anderem Maya Haktvoort, Jan Amann, Sabrina Weckerlin, Lucy Scherer und Andreas Bieber, sprechen sowieso für sich. 2020 werde ich definitiv wieder auf dem Mitternachtsball zu Gast sein.

Ewiges Rom

Zugegeben: Die Päpstin war nicht meine bevorzugte Wahl. Viel lieber hätte ich Ludwig 2 gesehen, schließlich war ich in Füssen, habe die Schlösser des Königs besichtigt und bin schon lange fasziniert von seiner Person. Aber der Spielplan des Füssener Festspielhauses hatte für den Zeitpunkt meines Aufenthaltes nun mal die Päpstin vorgesehen und da ich das Buch von Donna Woolfolk Cross verschlungen habe, habe ich mich dann doch überreden lassen, Johanna und ihrem Weg auf den Papststuhl eine Chacne zu geben. Und allein wegen der grandiosen Hauptdarstellerin Misha Kovar hat sich der Besuch absolut gelohnt. Mein Lieblingsstück wird es zwar nicht. Die Musik beschränkt sich auf einige wenige Nummern und zahlreiche Reprisen (ich liebe Reprisen, aber bei den ohnehin nur wenigen Liedern fand ich es doch etwas viel). Auch die Inszenierung hat mich nicht rundum überzeugt. Sehenswert war Die Päspstin aber allemal.

Carpe Noctem

Nachdem die Schließung des Metronom Theaters in Oberhausen bekannt gegeben und damit quasi der Tod des Musicals im Ruhrgebiet besiegelt wurde, hatte ich eigentlich gar keine andere Wahl, als mir nochmal Tanz der Vampire anzusehen, sozusagen als Abschied vom Ruhrgebiet als Muscialstandort. Allerdings hätte ich das nicht gemacht, wenn ich nicht ein wirklich gutes Angebot gefunden, sondern den Vollpreis hätte zahlen müssen. Denn die Kartenpreise sind einfach nicht mehr erschwinglich. Schade, denn das Stück ist und bleibt einfach großartig. Die Besetzung in Oberhausen überzeugt bis in die kleinste Nebenrolle. Das hatte ich bei einem Stück lang nicht mehr. Großartig. Mehr muss man dazu nicht schreiben.

Die Schließung des Metronom Theaters

Der endgültige Niedergang des Musicalstandorts Ruhrgebiet ist für mich die traurigste und ärgerlichste Nachricht dieses Musicaljahres. Nachdem das Colosseum Theater in Essen schon seit Jahren nicht mehr bespielt wird, obwohl es eines der schönsten Theater von Stage Entertainment war, schließt nun auch das Metronom Theater in Oberhausen. Damit ist das Musical im Ruhrgebiet tot. Wirklich überrascht hat mich diese Nachricht irgendwie nicht. Denn mal ehrlich und bei allem Verständnis für die Kosten, die solche Großproduktionen verursachen und die natürlich gedeckt werden müssen: Die Kartenpreise, die inzwischen verlangt werden und die seit Jahren steigen und steigen, kann sich in einer eher strukturschwachen Region wie dem Ruhrgebiet nun mal niemand leisten.

Natürlich ist ein Musicalbesuch kein Besuch im Kino. Aber selbst Menschen, die gerne ins Musical gehen und auch bereit sind, dafür etwas mehr zu bezahlen, müssen sich inzwischen doch dreimal überlegen, ob sie diese Summen in ein Musicalticket stecken oder das Geld vielleicht doch lieber in einen Wochenendtrip investieren. Die preislichen Relationen stimmen hier einfach nicht mehr, zumal ein Musical ja auch Leute von außerhalb anlocken soll. Doch wenn ein Ticket schon 150 Euro kostet, wird das einfach schwierig. Auch die Verschiebung der Preiskategorien ist einfach unverschämt: Das heutige PK 1 entspricht dem früheren PK 3 -­ nur, dass man nach wie vor einen PK-1-Preis bezahlt. Durch so eine Preispolitik wird Musical zu einem Luxusgut. Und dann sind Standorte wie Oberhausen natürlich nicht mehr zu halten. Ich hoffe sehr, dass das Theater einen Investor findet und vielleicht doch weiterhin Musicals dort gezeigt werden. Und wenn die Kartenpreise etwas sinken würden, so mal eine ganze naive Hoffnung, würden sicher auch wieder viel mehr Menschen ins Theater gehen.

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