Les Misérables Tecklenburg
Musical

Les Misérables Tecklenburg: Leidenschaft spielt mit

16. September 2018

Mit Les Misérables kann die Freilichtbühne Tecklenburg an die gelungenen Produktionen der Vorjahre anknüpfen. Erneut beweist sie, dass für eine gelungene Inszenierung vor allem eines wichtig ist: Leidenschaft.

Les Misérables ist ein Paradebeispiel für großes Musicaltheater. Es bietet eine packende Geschichte, starke Charaktere und ebenso mitreißende  Musik. Es ist ein Stück, das bewegt und zum Nachdenken anregt. Ein Stück, bei dem der Zuschauer mehr als nur eine Träne verdrückt und das einem unvergessliche Theatermomente beschert. Auch die Inszenierung von Les Misérables in Tecklenburg sorgt für solch unvergessliche Musicalmomente.

Les Misérables Tecklenburg: Über Liebe und Freiheit

Das Historiendrama „Les Misérables“ (deutsch „Die Elenden“) beruht auf dem gleichnamigen Roman des Schriftstellers Victor Hugo. Es zeichnet das Bild der französischen Gesellschaft vom Kaiserreich unter Napoleon Bonaparte im Jahr 1815 bis zum Bürgerkönig Louis Phillippe (1832). Hugo verpackt den Kampf der Republikaner gegen die Monarchie und den der Elenden gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung in einen Abenteuer- und Liebesroman. Die großen Themen sind der Kampf um Freiheit, Verrat, Vergeltung und Vergebung handelt.

Hauptfigur ist der Sträfling Jean Valjean. Dieser wird nach neunzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Doch seine Hoffnung auf ein neues Leben wird jäh enttäuscht. Erst der Bischof von Digne kann ihn davon überzeugen, sein Leben zu verändern. Aus Valjean wird Monsieur Madeleine, der zum geachteten Bürgermeister von Montreuil aufsteigt. Dort kreuzt sich sein Weg mit dem des Polizeiinspektors Javert sowie dem der verzweifelten Mutter Fantine. Zwei Dinge bestimmen fortan sein Leben: Cosette, der unehelichen Tochter Fantines, ein liebender Vater zu sein, und seine Flucht vor Javert. Dieser heftet sich unerbittlich an seine Fernsen, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Hochkarätige Besetzung

Wie bereits in den vergangenen Jahren, so zeigt die Freilichtbühne Tecklenburg, dass sie sich in Sachen Qualität und Liebe zum Detail hinter keiner Großproduktion verstecken muss. Das beginnt bei der hochkarätigen Darstellerriege.

Patrick Stanke zieht den Zuschauer mit seiner unglaublichen Bühnenpräsenz vom ersten Augenblick an in den Bann (zurecht bekam er bereits nach dem Prolog minutenlangen Beifall). Ihm gelingt die Wandlung vom verbitterten Sträfling zum demütig Geläuterten bis zum liebenden Vater überzeugend und intensiv. Stanke lebt seine Rolle und schöpft deren Facettenreichtum bis ins kleinste Detail aus. Nicht weniger einnehmend ist Kevin Tarte als Valjeans Gegenspieler Javert. Stimmgewaltig gibt er den autoritären, strengen Polizeiinspektor. Er folgt unbeirrt seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit und zieht am Ende seine gesamte Existenz in Zweifel. Nicht weniger sehenswert war übrigens Zweitbesetzung Robert Meyer.

Als Fantine konnte Milica Jovanovic gewonnen werden. Sie konnte im vergangenen Jahr bereits als „Ich“ in der Tecklenburger Inszenierung von Rebecca überzeugen. David Jakobs stand 1996 schon als kleiner Gavroche am Marientor in Duisburg auf der Bühne. 22 Jahre später begeistert er als Student Enjolras. Sein Traum von Freiheit ist anrührend und mitreißend. Man wäre ihm auf die Barrikaden gefolgt. Florian Peters gibt einen schönen Marius, der vor allem in emotionalen Momenten wie „Der Regen“ oder „Dunkles Schweigen an den Tischen“ überzeugen kann. Daniela Braun hat als Cosette buchbedingt wenig Entfaltungsmöglichkeiten, gefällt aber mit einer wunderschönen Stimme.

Eine der Entdeckungen des Abends ist Lasarah Sattler als Eponine. Die zierliche Darstellerin mimt eine ebenso toughe wie verletzliche Eponine. Mit ihrem Schicksal der unerfüllt Liebenden rührt sie zu Tränen. Jens Janke, bereits in der deutschen Erstaufführung in Dusiburg in dieser Rolle zu sehen, gibt einen schleimigen Thénadier. Gemeinsam mit seiner Bühnenfrau Bettina Meske sorgt er für die gut getimten komödiantischen Einlagen in dem ansonsten rührseligen Musicals.

Als Ensemblestück lebt Les Misérables durch den gesamten Cast, der in Tecklenburg restlos überzeugen kann. Ebenso kann es der Extra-Chor. Er  füllt die Bühne und verleiht den Ensemblenummern viel Kraft und Energie. Gänsehaut pur!

Les Misérables Tecklenburg: Eindrucksvolle Kulisse

Die Kulisse der alten Burgruine passt hervorragend zu einer Geschichte, deren Hauptfiguren die Elenden sind. Die Freifläche mit angedeuteten Häusern und Fabriken im Hintergrund bietet viel Platz für das gewaltige Ensemble, das niemals unkoordiniert wirkt. Die vielen Menschen auf der Bühne machen Les Misérables authentisch. Gerade die Armut der Elenden wird so eindrucksvoll illustriert.

Auf der linken Bühnenseite kommt wie in den Inszenierungen der Vorjahre erneut ein Drehelement zum Einsatz. Es fungiert erst als Haus des gütigen (und stimmgewaltigen) Bischofs (Florian Soyka), dann als ABC Café, dem Hauptquartier der Studenten. Die Kostüme von Karin Alberti veranschaulichen den Alterungsprozess der Protagonisten und überzeugen durch Detailverliebtheit.

Tecklenburg liebt Musical

Mit Les Misérables hat die Freilichtbühne Tecklenburg erneut bewiesen, dass sie Musical kann. Inzwischen ist sie eine etablierte Adresse für hochwertige Inszenierungen, die in allen Belangen zu begeistern verstehen. Auch das Musicaldrama von Alain Boubil und Claude Michel Schönberg ist unter der Regie von Ulrich Wiggers zu einer bewegenden und packenden Inszenierung geworden. An ihr kann sich in Sachen Leidenschaft so manche Großproduktion ein Vorbild nehmen. Tecklenburg liebt Musical. Es ist schön, wenn man das als Zuschauer spürt.

Zugabe

  • Seine Uraufführung feierte Les Misérables am 17. September 1980 in Paris. Die Urversion war speziell auf das französische Publikum zugeschnitten. Da der Roman in Frankreich Bestandteil der Allgemeinbildung ist, verzichteten Boubil und Schönberg auf wesentliche Teile der Handlung. Eine CD-Aufnahme der Urfassung ist als „French Concept Recording“ erhältlich.
  • Die Premiere der revidierten Fassung, wie sie heute gespielt wird, fand erst am 8. Oktober 1985 im Londoner Barbican Centre statt.
  • Die erste nicht englischsprachige Aufführung der Londoner Fassung war die hebräische Version von 1987 in Tel Aviv.
  • Die deutschsprachige Uraufführung fand 1988 im Raimund Theater in Wien statt. 1996 war die Deutschlandpremiere. Dafür wurde in Duisburg extra ein Theater gebaut, das Theater am Marientor.
  • Am 18. November 2004 fand im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Bestehen der Entente cordiale zwischen Großbritannien und Frankreich auf Wunsch Königin Elisabeths II. eine Sondervorführung im Schloss Windsor statt.