Vintage Mode

Tüll – ein Stoff zum Träumen

11. Mai 2021

Er ist von zeitloser Eleganz und erzählt doch eine lange Geschichte: Tüll ist ein Material, das vor allem im Frühling gerne getragen wird. Wissenswertes über dieses Material sowie Stylingtipps habe ich hier zusammengestellt.

Er raschelt sacht im Takt der Musik, umspielt leicht und schwerelos den filigranen Körper der zarten Ballerina und lässt sie wie schwebend, einem Feenwesen gleich, über die Bühne tanzen. Allein der Anblick von Tüll lädt zum Träumen ein, auch, weil er, obwohl er sich längst unter den aktuellen Modetrends etabliert hat, noch immer mit dem Tutu, dem klassischen Kostüm einer Balletttänzerin, assoziiert wird. Und wer einmal einen Tüllrock getragen hat, muss zugeben: Das leichte Material verführt dazu, einfach drauf los zu tanzen wie eine Prima Ballerina. Sobald man Tüll trägt, scheinen die eigenen Bewegungen plötzlich viel leichter und eleganter zu sein, man fühlt sich chic und schwerelos und jedes Rascheln, jede noch so zarte Bewegung, die durch die dünnen Schichten des Rockes weht, verleiht uns das Gefühl, eine Prinzessin zu sein. Wie Tüll das schafft, habe ich mir in diesem Beitrag näher angesehen.

Das Besondere am Tüll

Seine enge Verbindung zum Tanz verleiht dem Tüll etwas Märchenhaftes, fast schon Weltentrücktes, was sicher auch zu seiner Beliebtheit beiträgt. Tüll ist feminin und mädchenhaft, leicht, fein und schwingend, ebenso elegant, romantisch und verrucht. Das macht ihn für die Mode vielseitig einsetzbar, etwa in der Braut- und Abendmode oder für Dessous. Tüll ist aber auch ein sehr zeitloses Material, das sich mit gröberen Stoffen wie Jeans auch modern interpretieren lässt. Gleichzeitig ist er das perfekte Material für eine Vintagegarderobe, denn seine Beschaffenheit, seine Optik und seine Haptik erzählen von vergangenen Zeiten und früheren Epochen.


Tüll
Ein besonderer Stoff: Tüll. | Foto: Weber

Diese Besonderheiten des Tülls liegen im Material selbst. Tüll ist ein gewebter, netzartiger und transparenter Stoff, dessen typische Struktur dadurch entsteht, dass beim Weben zwei Kettfäden nach jedem Einschuss verdreht werden. Durch diese Technik liegen die Schussfäden nicht dicht nebeneinander, sodass ein wabenartiges Gewebe entsteht. Heutzutage besteht Tüll aus verschiedenen Garnen, die unterschiedlich fein sein können. So wird Tüll beispielsweise aus Seide, Polyester oder Baumwolle hergestellt.

Die Entstehung des Tülls

Es war die Tänzerin Marie Taglioni, die 1832 in der romantischen Ballett-Pantomime La Sylphide erstmals einen Tutu trug und damit das typische Ballettkostüm begründete. Zuvor hatten Tänzerinnen keine besondere Kleidung getragen, sondern waren einfach oder in Panniers, Reifröcken, aufgetreten. Der leichte Tüll verlieh ihnen nun viel mehr Bewegungsfreiheit, sodass zum Beispiel Sprünge plötzlich viel höher ausgeführt werden konnten. Das klassische Tutu war wadenlang, was im 19 Jahrhundert als höchst unmoralisch angesehen wurde, denn seine Beine zu zeigen, ziemte sich damals nicht. Im Laufe der Zeit wurden die Röcke dennoch immer kürzer und standen steif ab, wie man es aus vielen Schwanensee-Produktionen kennt. Seine heutige Form erhielt das Tutu im Jahr 1950, als die Kostümbildnerin Barbara Karinska im New York City Ballet das sogenannte Puderquasten-Tutu schuf.


Tüll Ballerina im Tüllrock
Typisch Ballett: das Tüll-Tutu. | Foto: gemeinfrei

Doch die Verwendung und Entwicklung von Tüll in der Mode vollzog sich nicht allein im Ballett. Hergestellt wurde Tüll, wie wir ihn heute kennen, schon lange bevor der Tanz ihn für sich entdeckte, nämlich um 1500 mit Nadeln oder Klöppeln. Die dünnen Fäden wurden unter großem Zeitaufwand händisch verflochten und verknüpft, weshalb die Spitze einen hohen Preis hatte und folglich dem Hochadel vorbehalten war. Aufgrund der stetig steigenden Nachfrage wurde Tüll um 1700 in Spezialmanufakturen hergestellt. Die Industrialisierung ermöglichte ab 1765 erstmals die maschinelle Fertigung des feinen Gewebes. Von da an dauerte es weitere 40 Jahre, bis der Engländer John Heathcoat die erste Bobinet-Maschine baute. Sie ahmte die Handbewegungen der Klöppler nach und machte den mit ihr gewebten Tüll dem handgewebten ebenbürtig. Einziger Unterschied: Die Produktion war schneller und kostengünstiger. Noch heute wird die Bobinet-Maschine fast unverändert für die Herstellung von Tüll verwendet.

Die Verwendung von Tüll

Vor der Erfindung der Bobinet-Maschine war Tüll ein Material, das hauptsächlich für Details, etwa für Schleier oder an Krägen, verwendet wurde. Durch die vereinfachte Herstellung durch die Maschine etablierte sich Tüll als beliebter Stoff bei den Ballerinas und den adeligen Damen. Ihre ausladenden Roben in der Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden aus vielen Schichten Tüll. Besonders berühmt ist beispielsweise Kaiserin Elisabeth von Österreich in ihrem weißen Tüllkleid des englischen Modeschöpfers Charles Frederick Worth, das auf dem wohl berühmtesten Sisi-Gemälde von Franz Xaver Winterhalter für die Ewigkeit festgehalten wurde. Worth belieferte auch die französische Kaiserin Eugenie, die neben der österreichischen Kaiserin als Modeikone und schönste Frau ihrer Zeit galt.



Während sich die Mode nach der Jahrhundertwende grundlegend änderte, blieb Tüll unverändert beliebt. Noch in den 20er Jahren schmückte er die schwingenden Abendkleider der Flapper Girls. Erst in den Kriegsjahren, als die Stoffe schlichter und praktischer wurden, verlor Tüll als Material seine Bedeutung. Umso wichtiger wurde er in den 50er Jahren, als die Tellerröcke dem Glanz einer vergangenen Epoche huldigten: Nach der entbehrungsreichen Kriegszeit sollte es wieder opulent zugehen. Das Scheitern verschiedener politischer Systeme führte zudem zu einer Romantisierung der Monarchie. Entsprechend sind die ausladenden Schnitte der 50er auch als Sehnsucht nach den Ballkleidern dieser Zeit zu verstehen. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Petticoat zu. Das unverzichtbare Accessoire dieses Jahrzehnts war der Gegenentwurf zu der ebenfalls populären Sanduhrform und verlieh den Kleidern ihr Volumen. Mit dem Aufkommen des Minirocks in den 60er und 70er Jahren verschwand Tüll wieder aus der Mode, ehe er in den 80er in Form von Details an Ärmel oder Ausschnitt wieder auftauchte. Heute wird er im Alltag gern mit Jeans- oder Lederjacke und Sneakern oder elegant auf feierlichen Anlässen wie Hochzeiten getragen.

Tüll in sämtlichen Kombinationen

Egal, ob in einer modernen oder einen Vingtagegarderobe: Tüll ermöglicht unzählige Kombinationsmöglichkeiten:

  • Abendmode: Für einen festlichen Anlass, etwa in der Oper oder auf einer Hochzeit, ist Tüll immer eine gute Wahl. In Schwarz wirkt er besonders elegant, hellere Farben wie Rosa oder Beige machen das Outfit etwas leichter. Aber auch in Türkis, Dunkelblau, Grau oder einem dunklen Rot macht Tüll eine gute Figur. Getragen als Rock lässt er sich gut mit Blusen oder Spitzenoberteilen kombinieren, bei Tüllkleidern ist die Spitze häufig schon integriert. Gerade in der Abendmode lässt sich auch der Petticoat einsetzen. Und wer Tüll lieber dezent einsetzen möchte, wählt ein Kleid mit Tüllunterrock.
  • Auch das Flower-Power-Hippie-Feeling der 70er Jahre lässt sich ganz leicht mit einem Tüllrock kreieren: Einfach mit Haarblumen, Korbtasche oder Strohut kombinieren und schon heißt es „Let the sunshine in…“.
  • Frühlingslook: Tüll ist ein tolles Material für den Frühling. Mit hellen, zarten Farben, flachen Schuhen, filigranem Schmuck und leichtem Make-up ist man perfekt gestylt für die Gartenparty oder den Spaziergang im Park.
  • Ganz einfach: Tüllrock, T-Shirt, vielleicht mit Retro-Aufdruck, Tuch oder Turban ins Haar und schon habt ihr einen alltagstauglichen Vintage-Look ohne viel Aufwand.


Das sind nur einige Beispiele, wie Tüll sich in der Garderobe einsetzen lässt. Damit ihr möglichst lange Freude an diesem besonderen Stoff habt, solltet ihr übrigens darauf achten, Tüll nur bei maximal 30 °C zu waschen. Da das Material nicht hitzebeständig ist, solltet ihr ihn auch auf keinen Fall bügeln oder in der Maschine trocknen. Und ein Tipp aus eigener Erfahrung: Bürostühle fressen gerne Tüll. Also auf jeden Fall aufpassen, dass der Stoff nicht einklemmt. Und ansonsten: Viel Spaß in eurem Tüll-Outfit!