Starlight Express Pearl
Musical

Starlight Express und die rosa Perücke

7. August 2018

Anlässlich seines 30. Geburtstages hat das Musical Starlight Express eine Rundumerneuerung erhalten. Vieles überzeugt, manches missfällt. Besonders die Sache mit der rosa Perücke.

Zugegeben: Mit Veränderungen tue ich mich manchmal schwer. Grundsätzlich bieten sie natürlich die Chance, ein Stück lebendig zu halten und natürlich kann man die Aufführungspraxis großer Produktionen wie Das Phantom der Oper oder Les Misérables kritisieren, wo jeder Schritt und jede Geste seit der Uraufführung genau festgelegt ist und nicht verändert werden darf. Jedoch: Warum etwas ändern, wenn es einfach gut ist?

Starlight Express: Nostalgie und Kindheitserinnerungen

Starlight Express ist das Musical meiner Kindheit, das Stück, auf dem meine Begeisterung für dieses Genre fußt und das für mich mit viel Nostalgie verbunden ist. Allein deswegen sah ich den angekündigten Veränderungen – oder besser: der angekündigte Rundumerneuerung sehr skeptisch entgegen.

Hinzu kommt, dass mir bisher kaum eine der im Laufe der 30 Jahre vorgenommenen Änderungen besonders gefallen hat. Zuletzt hatte die Show für mich ihren einstigen Charme leider fast vollständig verloren: die Hip Hopper fand ich albern, die neuen Lieder fielen leider stark von der Originalmusik ab (allen voran das schlagerhafte Duett „Für immer“) und durch das Streichen der „Dein Freund“-Szene entstand sowohl in Bezug auf die Dinah-Greaseball-Story als auch hinsichtlich der Rolle des zwielichtigen Caboose ein Logikloch.

„Geht mir aus der Bahn: Frauenpower

Natürlich muss eine Show sich nach 30 Jahren verändern, um attraktiv zu bleiben (einmal mehr bei den hohen Kartenpreisen). Aber das Stück als nicht mehr zeitgemäß oder gar sexistisch zu bezeichnen, fand ich dann doch sehr übertrieben. Es ist ein Theaterstück, ein Traum – nicht mehr, nicht weniger. Ich jedenfalls habe mich durch die Frauenrollen nie diskriminiert gefühlt. Ihnen ein stärkeres Profil zu verleihen, ist grundsätzlich aber eine gute Idee. Und so wurde beim neuen Starlight Express gegendert was das Zeug hält.

Erstes Opfer: Papa. Er wurde zu Mama. Damit kann ich leben. Zweites Opfer: Bobo. Er wurde zu Coco. Gute Idee. Drittes Opfer: Rocky III. Ein Kastenwagen als Frau? Unpassend. Viertes Opfer: Dinah. Jetzt brünett. Musste das sein? Dürfen emanzipierte Frauen nicht blond sein? Opfer Nummer fünf und sechs: Buffy und Ashley. Ausrangiert. Warum??? Sie waren die stärksten und emanzipiertesten aller weiblichen Wagen. Opfer Nummer sieben: Pearl. Ohne ihre rosafarbene Perücke? Das geht zu weit!

Nimm mich mit und zeig mir…: Starlight Express begeistert wieder

Diese Gedanken und Vorurteile nahm ich mit, als ich den neuen Starlight Express besuchte, begleitet von der Sorge, dass es eventuell das letzte Mal sein könnte, dass ich mir diese Show ansehen werde. Doch es ist eben immer besser, wenn man sich erst ein Bild macht und dann urteilt, denn die neue Show hat mich wirklich überrascht und endlich wieder mit jener Begeisterung erfüllt, die ich als Kind erlebt habe.

Vorweg: Nicht alle Änderungen sind meines Erachtens gelungen. Buffy und Ashley und damit auch den „Girl’s Rolling Stock“, eines der Highlights des zweiten Aktes, zu streichen, finde ich ebenso unnötig wie schade, zumal sie mit Belle und Carrie durch zwei  deutlich balssere weibliche Figuren in deutlich unansehnlicheren Kostümen ersetzt wurden.

Starlight Express: Coco und Belle
Statt Bobo und Ashley gehen jetzt Coco und Belle ins Rennen. Foto: Weber

Aus der blonden Dinah eine Brünette zu machen, um zu zeigen „Hey, sie ist eine starke Frau“ finde ich genau so überflüssig, zumal doch auch Blondinen stark sein können, oder? Und Pearl… Ja, die Sache mit Pearl und ihrer rosa Perücke

„Ich bin ich“: Starke Dinah

Starlight Express: Dinah
Brünett statt blond: Dinah mit neuer Haarfarbe. Foto: Weber

Generell ist die Idee, den Frauenrollen mehr Profil zu geben, durchaus gelungen. Dinahs Rolle wurde deutlich aufgewertet und die Idee, dass Pearl als neuer Wagen dazukommt und Rusty erst kennenlernt, wurde, auch durch das in ein Duett umgeschriebene „Jetzt pfeift er mir zu“, ganz zauberhaft umgesetzt. Diese Szene ist eine absolute Bereicherung und hat mich richtig gerührt.

Weniger begeistert hat mich – wie es leider oft bei neuen Starlight-Liedern der Fall ist – die Nummer „Ich bin ich“. Auch wenn sie über Ohrwurmpotenzial verfügt, kommt sie musikalisch eher nichtssagend und austauschbar daher und betreibt Emanzipation mit der Brechstange. Platter kann man nicht darauf hinweisen, dass es sich hier um starke Frauenrollen handeln soll.

Voll in Fahrt: Coco und Mama

Mit Coco neben der stimmlich und darstellerisch unfassbar gut besetzten Mama Reva Rice (1987 übrigens die Pearl in der Uraufführung am Broadway)  einen weiblichen Zug ins Rennen zu schicken, gehört eindeutig zu den Pluspunkten der Show, zumal die Züge ohnehin eine Aufwertung erfahren haben und sich musikalisch nun öfter zu Wort melden dürfen.

Was mit Coco und Mama ausgezeichnet funktioniert, funktioniert mit dem weiblichen Rocky leider nicht. Grundsätzlich bin ich froh, dass die Hip Hopper endlich verschwunden und die Rockys wieder Rockys sein dürfen. Durch den Ersatz des roten Rockys durch den blauen kommen Erinnerungen an den einst gestrichenen (da überflüssigen) Rocky IV hoch. Diese coole Gang zu zerschlagen und auch hier eine Frau einzusetzen, hätte allerdings wirklich nicht sein müssen. Ja, Frauen sind cool und stark, aber die tänzerischen Einlagen bei „Nicht der rechte Zeitpunkt“ waren bei weitem nicht mehr so mitreißend, weil – zumindest in der Besetzung, die ich gesehen habe – die weibliche Rocky in Sachen Athletik ihren männlichen Kollegen deutlich sichtbar nicht das Wasser reichen konnte.

„Hilf mir verstehn“: Pearl ist nicht mehr Pearl

Das größte Manko des neuen Starlight Express sind die Kostüme. Und da sind wir bei dem Punkt mit der rosa Perücke. Pearl war immer der schöne Erste-Klasse-Waggon – davon ist jetzt leider nichts mehr zu sehen. Was ihre Rolle inhaltlich an Aufwertung erfahren hat, wurde ihr in Sachen Optik genommen. Sie wirkt farblos und ist nicht mehr annähernd die Erscheinung, die allen Loks den Kopf verdreht. Aber vielleicht dürfen emanzipierte Frauen das ja auch nicht mehr?

Insgesamt nähern sich die Kostüme leider der englischen Fassung an, die deutlich schlichter und mit weitaus weniger Liebe gestaltet waren. Unansehnlich und nichtssagend ist beispielsweise auch das Kostüm von Gepäckwagen Carrie und Barwagen Belle trägt nicht mehr als einen recycelten Entwurf der ausrangierten Ashley. Schade. Gerade die Detailverliebtheit der Kostüme hat den Rollen immer etwas Unverwechselbares verliehen und die Bochumer Produktion weltweit einzigartig gemacht.

„Aus dem Weg ich bin die Zukunft“: Die neue E-Lok

Auch Electras Kostüm ist für mich keine Verbesserung. Zwar wirkt die E-Lok-Gang in ihrem schwarzen, stylischen Auftreten sehr cool und modern und auch Megawatt, der die Rollen Krupp und Purse ersetzt, kommt mit seiner Sonnenbrille cool daher, insgessamt wirkt Rustys hypermoderner Konkurrent jedoch eher wie eine getunte Version der alten Volta, dem Kühlwagen. Natürlich macht es einiges her, wenn er mit seinem mit steuerbaren LED-Bestandteilen ausgestatteten Kostüm über die Gleise flitzt und dabei die Farben wechselt; insgesamt war die rot-blaue Variante aber trotzdem ausdrucksstärker und weniger kalt.

Starlight Express Electra
Hypermodern: Die E-Lok Electra. Foto: Weber

Und was mit Volta passiert ist… na ja, was soll ich sagen? Ihre Rolle hat wohl mit Pearl die optisch größte Verstümmelung erfahren.

Caboose, ebenfalls in eine neues Kostüm gesteckt, sieht man seine Bösartigkeit nun direkt an: Er trägt Hut und Rastazöpfe, er ist der Spieler. Da die „Dein-Freund“-Szene nach wie vor fehlt, weiß jeder von Anfang an: Er ist der Böse. Die Hinterhältigkeit und Undurchsichtigkeit aus früheren Zeiten war der Story zuträglicher, zumal nach dem ersten Rennen nach wie vor ein Loch klafft, durch das die Trennung Dinahs von Greaseball und damit deren ganze Geschichte viel an Substanz verloren hat.

Starlight Express: Eine einmalige Show

Alles in allem ist die Handlung aber deutlich runder als sie es zuletzt war, was auf musikalischer Ebene durch einige zusätzliche Reprisen verstärkt wird. Sie werten schwächere Songs wie „Crazy“, „Ich bin ich“ und „Für immer“ (bitte gebt uns doch „Du allein“ zurück!) auf. Und die atemberaubende Technik mit neuem Soundsystem, LED-Lampen und Laserlicht sowie die wunderschöne „Starlight Sequenz“ sind ohnehin über jeden Zweifel erhaben.

Die Generation, für die der neue Starlight Express gemacht wurde, kennt nicht die alte Fassung und wird sich an den Dingen, die mir missfallen, weil ich den Vergleich mit früher habe, nicht stören. Und auch ich werde definitiv wieder kommen. Denn so sehr ich in meinen nostalgischen Erinnerungen schwelge: Starlight Express ist und bleibt eine einmalige Show, die in ihrer neuen Fassung endlich wieder begeistern kann. Nur über die Sache mit der rosa Perücke werde ich wohl nicht hinwegkommen.

Zugabe

  • Schon für die deutsche Uraufführung 1988 hat das Stück einige Überarbeitungen erfahren. So gab es in der britischen Urversion beispielsweise den Schlafwagen „Belle“, der in der deutschen Fassung nie vorhanden war. 19992 wurde er auch aus der englischsprachigen Version gestrichen.
  • Die erste größere Überarbeitung erlebte die Bochumer Fassung 2002. Neben einem überarbeiteten „Megamix“, in dem am Ende noch einmal die größten Melodien des Musicals zusammengefasst werden, wurde das Lied „Crazy“ hinzugefügt. Das Duett „Du allein“ wurde durch „Allein im Licht der Sterne“ ersetzt.
  • Das finale Duett zwischen Rusty und Pearl fällt 2013 erneut einer Änderung zum Opfer und wird von dem von Webbers Sohn komponierte „Für immer“ abgelöst.
  • Jeder Zug hat seinen eigenen charakteristischen  Musikstil: Draufgänger Greaseball ist durch klassische Rock- und Bluessounds gekennzeichnet, E-Lok Electra durch futuristische Synthesizer-Klänge. Dampflok Rusty darf poppige Balladen singen und Papa, jetzt Mama, ist die Queen of Soul.
  • Starlight Express Bochum ist das derzeit am längsten laufende Musical der Welt. Das konnte man bei der Premiere nicht erwarten. Schon der Bau des Theaters brachte die Intellektuellen auf. „Zu teuer, zu groß, zu seicht“, fanden die Kritiker schon vor dem Start der Wettrennen um den Titel der schnellsten Eisenbahn der Welt. Der Intendant des Bochumer Schauspielhauses, Frank-Patrick Steckel, sprach gar von „Schrott auf Rädern“. Und Ministerpräsident Johannes Rau zeigte sich am Premierenabend besorgt: „Hoffentlich ist es nicht zu laut.“