Serien von früher II alter Projektor
Vintage Lebensart

Serien von früher II: Neues für deinen Vintage-Serienmarathon

15. Oktober 2021

In meiner Rubrik „Serien von früher“ gibt es Serientipps im Vintagegewand. Heute dabei: eine Gangsterbande aus Birmingham, eine kanadische True-Crime-Story, forensisch-psychologische Ermittlungsarbeit im ausgehenden 19. Jahrhundert und die rebellische Kraft des Rock ’n’Roll. 

Serien von früher: Tipps für einen Vintage-Serienmarathon

Der Herbst ist da und das heißt: Es ist wieder Zeit für einen gemütlichen Nachmittag mit heißem Kakao und Kuchen auf der Couch. Dazu gibt es: Vier Tipps für einen Vintage-Serienmarathon.

Gangsterepos als Epochendrama

Der Look macht’s: Wenn Thomas Shelby und seine Brüder in Kurzmantel, Anzug und Schiebermütze durch die optisch stilisierten Elendsviertel Birminghams stiefeln, sieht das einfach immer schick und edel aus. Die Kleider und Frisuren der weiblichen Figuren der britischen Dramaserie, die im Jahr 1919 beginnt, erwecken in uns nicht weniger den Wunsch, in der Zeit zurückzureisen. Modisch zumindest. Denn ansonsten beherrscht das Verbrechen die rauchenden Gassen Small Heaths. Hier haben die Peaky Blinders das Sagen, eine Gangsterbande, die sich durch Wettbetrug einen Namen gemacht hat. Könige der Gosse sozusagen. Um sie und ihren Anführer Thomas Shelby entspinnt sich eine mal packende, mal zähe, meist klischeehafte Geschichte, die immer top gestylt ist. Und auch noch gut klingt. Denn es ist vor allem die Mischung aus Optik und Soundtrack, die der Geschichte Leben einhaucht. 

Dennoch gibt es auch erzählerisch packende Momente. Interessant sind diese vor allem, weil Thomas Shelby auch den Zuschauern und Zuschauerinnen immer einen Schritt voraus ist. Wir wissen nie genau, was er plant, fragen uns, wie er sich aus all den Schwierigkeiten befreien will und verstehen seine Ziele oft nicht früher als seine gelinkten Gegenspieler. Ein weiterer interessanter Ansatz: Die Männer sind fast alle Kriegsveteranen und entsprechend seelisch verkrüppelt. Obwohl längst vom Schlachtfeld heimgekehrt, führen sie eine blutige Auseinandersetzung nach der anderen: gegen das Gesetz, gegen nicht minder kriminelle Widersacher, in ihrer Ehe oder innerhalb der Familie. Zur Ruhe kommen sie nie.   

Klischeehafte Frauenrollen

Folglich sind es vor allem die Männerrollen, die hier überzeugen, auch wenn alle Rollen schauspielerisch stark besetzt sind. Gerade die weiblichen Figuren in der Serie lassen jedoch leider kein Klischee aus. Dabei gibt es starke Ansätze: Ada Shelby, die eigentlich aus der Familie raus will (und doch nicht mehr tut, als sich von Männern schwängern zu lassen), die verdeckte Ermittlerin Grace Burgess (für mich persönlich auch darstellerisch eine absolute Fehlbesetzung und als Thomas Shelbys Love Interest leider das größte Rollenklischee der ganzen Serie) oder die Kommunistenführerin Jessie Eden (die – Achtung Spoiler – Thomas Shelby natürlich trotzdem verfallen muss). Rollentechnisch wird das Potenzial hier leider nicht ausgeschöpft, dabei zeigen May Carleton, die Großfürstin Tatiana Petrova und natürlich Tante Polly, dass ein Mehr an komplexeren Frauenrollen der Serie gutgetan hätten. 

Nichtsdestotrotz macht die Serie Spaß und es lohnt sich, die redundanten oder etwas zähen Momente auszuhalten, da man meist unmittelbar danach mit dem ein oder anderen Schocker überrascht wird. 

Alias Grace: True Crime im Historiengewand

Nach „A Handmaid’s Tale“ wurde mit „Alias Grace“ der zweite Roman der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood verfilmt. Hier wie dort geht es um die Unterdrückung der Frau in einem brutal patriarchalem System. Hure oder Dienerin – eine andere Rolle gibt es für Frauen darin nicht. Während die düstere Dystopie „A Handmaid’s Tale“ den Blick in eine beängstigende Zukunft wirft, richtet “Alias Grace” den Blick zurück ins Jahr 1843, als das Dienstmädchen Grace Marks des zweifachen Mordes beschuldigt und verhaftet wird. Diesen Vorfall hat es wirklich gegeben. Über die echte Grace Marks ist allerdings wenig bekannt. Auf der Basis von Zeitungsberichten, Zeugenaussagen, Gerichtsakten und ihrer Fantasie entwirft Atwood Porträt und Sittengemälde in einem. In Gestalt des fiktiven Dr. Simon Jordan stellt sie die Frage: Wie konnte eine junge, fleißige Dienerin zur Doppelmörderin werden? 

Dieser Frage geht auch die Serie nach und visualisiert die detaillierten Einblicke in das Leben von vornehmlich armen Frauen im 19. Jahrhundert. Auffällig sind dabei die Momentaufnahmen repetitiver Frauenarbeit: Wäsche waschen, Silber polieren, Kühe melken – und immer wieder nähen, nähen, nähen. In Großaufnahmen sehen wir, wie eine Nadel durch Stoff sticht oder eine Schere den Faden trennt. Das Nähen verdeutlicht hier Graces Rolle: Auf der einen Seite das fleißige Dienstmädchen, auf der anderen Seite eine potenzielle Mörderin. Denn die Nadel, sie kann auch stechen. Und so geht es am Ende nicht darum, die Mordfrage eindeutig zu klären. Den Zuschauern und Zuschauerinnen bleibt es selbst überlassen, ein Urteil zu fällen. 

The Alienist: Profiling und Emanzipation

New York im späten 19. Jahrhundert, ein grausamer Serienkiller und ein eigenwilliger Ermittler – fertig sind die Zutaten der historischen Krimiserie „The Alienist“. Zugegeben: Sie sind nicht wirklich neu. Interessant sind sie aber, weil der eigenwillige Ermittler Laszlo Kreizler Psychologe ist – und die Psychologie ein zu diesem Zeitpunkt wenig entwickeltes und meist belächeltes Feld der polizeilichen Ermittlungsarbeit ist. Der von Daniel Brühl gespielte Alienist (was ein altes Wort für Psychologe ist), versucht sich in die Denkweise des Serienmörders hineinzuversetzen und tastet sich dabei langsam an für die heutige Ermittlungsarbeit selbstverständlichen Methoden der forensischen Ermittlungsarbeit heran. Unterstützt wird der stoische Psychologe dabei vom Zeitungsillustrator John Moore (Luke Evans) und Sara Howard (Dakota Fenning), die sich als erste weibliche Angestellte der New Yorker Polizei vor allem gegen Sexismus behaupten muss. In all den unangenehmen Situationen, in denen sie sich wiederfindet, erinnert sie uns daran, dass Sexismus auch heute noch, über hundert Jahre später, ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist. 

Insgesamt ist „The Alienist“ keine innovative, aber eine sehr solide Krimi-Serie, die neben drei starken Hauptdarsteller*innen vor allem mit einem düster-atmosphärische Schauplatz auffährt. Die aufwändigen Kulissen werden in stimmungsvollen Bildern in Szene gesetzt, sodass man schnell Gefallen an der Mörderjagd durch New York entwickelt. 

Ku’damm 56: Rebellion und Rock’n’Roll

Wieder Berlin. Diesmal nicht das sündhafte Babylon der 20er, sondern die geteilte Hauptstadt Mitte der 50er Jahre. Unter der biederen Oberfläche brodeln die Rhythmen des Rock’n’Roll. Er ist es, der zum Ausdruck von Rebellion und Emanzipation einer ganzen Generation wird. So auch nach und nach von den Töchtern der Familie Schöllack. Da ist zum einen Desperate Housewife Helga (Maria Ehrich), die alles dafür tut, die Fassade der perfekten 50er-Jahre-Idylle aufrecht zu erhalten. Zum anderen ist da Nesthäkchen Eva (Emilia Schüle), die bald zu allem bereit ist, um aus dem Gefängnis ihrer Ehe auszubrechen. Und dann ist da Monika (Sonja Gerhardt), die anders als ihre Schwestern erst gar nicht die Fassade einer sittsamen Ehefrau aufbauen kann, weil sie das Frauenbild der damaligen Zeit immer wieder mal freiwillig, mal unfreiwillig torpediert. Sehr zur Verzweiflung ihrer Mutter Caterina (Claudia Michelsen), denn die alleinerziehende Betreiberin einer Tanzschule versucht alles, um ihre Töchter auf dem sittlich rechten Weg zu halten – da gerne auch mal mit zweifelhaften Mitteln. 

Ku’damm 56 gelingt es genauso wie den beiden Fortsetzungen 59 und 63, den Zuschauer oder die Zuschauerin den Konflikt zwischen biederen Wertvorstellungen und den Bedürfnissen der Jugend zu porträtieren und die 50er und 60er Jahre sehr lebendig zu machen. Man lacht und leidet mit den Protagonistinnen, die sich, jede auf ihre Weise und in ihrem Tempo, mehr und mehr emanzipieren und ihre Identität in einem Deutschland finden, in dem die amerikanischen Einflüsse eine neue Zeit verkünden, während die eigene NS-Vergangenheit noch gar nicht bewältigt ist. Zusammen mit den farbenfrohen Kostümen und der schmissigen Musik ist die Serie insgesamt sehr rund – bis auf einen großen Patzer in der Story (Achtung Spoiler): Dass Monika direkt zu Beginn der Serie vergewaltigt wird und sich zwischen ihrem Vergewaltiger und ihr eine Romanze entwickelt, wirkt nicht nur vollkommen unglaubwürdig, sondern verharmlost die Tat auf fast unerträgliche Weise. Die Message, die damit gesendet wird, ist unsensibel und gefährlich, weil sie in die “Stell dich nicht so an, er ist doch eigentlich kein schlechter Kerl”-Kerbe schlägt, die wir endlich ablegen müssen. Sexuelle Gewalt hat niemals zwei Seiten. Nicht heute und auch nicht in den 50ern.